Nie zuvor gab es mehr Möglichkeiten, um sich mitzuteilen und auszutauschen. Und noch nie war es schwerer, die richtigen Worte, Wege und Wahrheiten zu finden.
Facebook, Instagram, WhatsApp – diesen und weiteren Plattformen widmeten 40- bis 49-Jährige im vergangenen Jahr 16,3 Stunden pro Woche, mithin zwei volle Arbeitstage. Überraschend? Eher nicht, schließlich gehören soziale Netzwerke seit gut 20 Jahren zu unserem Leben; 80 Prozent der Deutschen tummeln sich dort, meldet der Social Media Atlas für 2024. Überraschend sind die Zahlen dennoch: Erstmals registriert der Atlas einen Rückgang bei Nutzern und Aufenthaltsdauer – bei den Mittvierzigern gar um fast 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Nie zuvor gab es mehr Möglichkeiten, um sich mitzuteilen und auszutauschen. Posts, Reels, Kommentare – soziale Medien sind schnell, weitreichend und überall. Die Safari-Fotos eben mal in den Status gestellt – Schwupps schauen Handykontakte weltweit dem Löwen in den Rachen. Auf Partnersuche, aber eigentlich keine Zeit? Die Dating-App filtert und matcht fast von allein. Einen Clip gepostet, auf den die Kunden voll abfahren – herzlichen Glückwunsch, das Video geht so viral, dass weitere Marketingmaßnahmen unnötig sind. Kommunikation mit allen, überall und jederzeit, das ist heute Realität. Und dennoch lässt die Begeisterung für die unendlichen Möglichkeiten spürbar nach.
Kommunikation ist das eine. Verstehen etwas völlig anderes.
Getindert wurde gestern, heute wird gebreezt. Die holländische App vergleicht zwar auch Vorlieben und schlägt Dating-Partner vor. Bei einem Match müssen sich die Auserwählten allerdings zu einem wahrhaftigen Date treffen, ohne vorheriges Chatten. Wortreicher Dialog mit Augenkontakt statt leerem Chat-Geplänkel, das nicht selten im Ghosting (Anm.: unbegründeter, plötzlicher Kontaktabbruch) endet.
Überhaupt wollen viele Menschen in Zeiten von Pandemie, Krieg und Hetze nicht mehr rund um die Uhr mit Informationen versorgt werden, „Nachrichten-Erschöpfung“ macht sich breit. Und mehr noch: Weil sich Hassbotschaften und Verschwörungstheorien besonders leicht verbreiten lassen, schalten zahlreiche Kunden der Plattform X von Elon Musk den Kanal bewusst ab – wir übrigens auch. Australien gar geht als erstes Land so weit, die komplette social media-Nutzung für unter 16-Jährige zu verbietet – damit will die Regierung unter anderem verhindern, dass Jugendliche süchtig werden.
Kommunikation ist das eine. Verstehen etwas völlig anderes. Der Soziologe Niklas Luhmann war der Ansicht, gelingende Kommunikation sei „unwahrscheinlich, obwohl wir sie jeden Tag erleben, praktizieren und ohne sie nicht leben würden“. Um zu gewährleisten, dass Kommunikation gelingt, müssten zunächst verschiedene Voraussetzungen erfüllt werden. Erst dann könnten wir Informationen nicht nur abrufen und austauschen, sondern auch verstehen, annehmen und entsprechend darauf reagieren. Nicht umsonst heißt es – der Sinn einer Botschaft entsteht beim Empfänger!
Umgekehrt kommunizieren wir ständig, auch ungewollt: Egal was wir tun oder lassen, sagen oder verschweigen – beständig schicken wir verbale oder nonverbale Botschaften an andere Menschen, die diese auf ihre Art und Weise interpretieren. Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick prägte dafür den berühmten Ausspruch „man kann nicht nicht kommunizieren“.
Die Welt besteht aus Missverständnissen, Gerüchten und Raum für Interpretationen.
Das macht deutlich, wie anspruchsvoll Kommunikation tatsächlich ist. Aber beachten wir das, wenn wir kommunizieren? Überlegen wir, wen wir mit unserer Botschaft erreichen wollen? Wie unsere Botschaft formuliert und gestaltet sein muss, damit sie bei unserem Gegenüber ankommt? Wo Verständnisprobleme entstehen können? Welche Reaktionen uns zeigen, dass wir richtig verstanden wurden? Seien wir ehrlich: Nein, das tun wir in den allermeisten Fällen nicht. Stattdessen besteht die Welt aus Missverständnissen, Gerüchten, Raum für Interpretationen, die im schlimmsten Fall in Hass, Hetze und Verschwörungstheorien münden.
Wie schwierig das in der Praxis ist, zeigen einmal mehr die Wahlplakate, die derzeit allerorten zu sehen sind. „Schönreden ist keine Wirtschaftsleistung“, wirbt da etwa die FPD. Was damit gemeint ist? Fragen Sie 20 Menschen und Sie werden 20 verschiedene Antworten bekommen. Und dabei ist ein Wahlplakat ein Relikt aus der Vergangenheit, es steht wochenlang an der gleichen Stelle und gibt so täglich aufs Neue die Chance, über seine Aussage nachzudenken. Ich jedenfalls mache das so, habe aber bis heute den Sinn dieser Botschaft nicht verstanden. Wobei – zugegeben – in diesem Beispiel die Kommunikation sehr einseitig ist.
Aber wie soll das dann in Zeiten sozialer Medien gehen? Wenn Posts, Reels, Kommentare im Sekundentakt hinausposaunt werden. Wenn sich Shitstorms schneller verbreiten als Kommunikationsabteilungen darauf reagieren könnten. Wenn Informationen rund um die Uhr und auf allen Kanälen auf uns einprasseln. Die Antwort ist so simple wie aufwändig: Kommunikation ist immer anstrengend und anspruchsvoll und stellt uns ständig vor neue Herausforderungen. In Zeiten von Fake News, Verschwörungstheorien und omnipräsenten sozialen Netzwerken umso mehr. Doch wer sich die Mühe macht und sorgfältig kommuniziert, wird reich beschenkt – mit Botschaften, die nicht nur ankommen, sondern auch verstanden und angenommen werden.


