Griechenland schreibt einen Rekord nach dem anderen – beim Schuldenabbau, beim Wachstum, im Tourismus. Trotzdem wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Daran können auch wir als Touristen etwas ändern.

Schneller, stärker, schöner: Der einstige Pleitekandidat der Eurozone macht derzeit als Musterschüler von sich reden. Zehn Jahre nach dem Höhepunkt der Finanzkrise boomt die griechische Wirtschaft. Zwar sind die Schulden immer noch immens, sinken aber schneller als in jedem anderen EU-Staat. Gleichzeitig wächst die griechische Wirtschaft mehr als doppelt so stark wie die Euro-Zone im Schnitt, einen wesentlichen Beitrag dazu leistet der Tourismus. 2024 besuchten rund 36 Millionen Hellas‘ traumhafte Urlaubsziele, erneut zehn Prozent mehr als im Rekord-Vorjahr.

Das bringt neben Milliarden-Einnahmen Arbeit und Arbeitsplätze, verglichen mit vor zehn Jahren ist die Arbeitslosigkeit von über 27 auf rund 8,6 Prozent gesunken, meldet die Statistikbehörde Elstat. Und dennoch: Vielen Griechen geht es nicht gut, vom Aufschwung kommt bei den wenigsten etwas an. Selbst zehn Jahre nach dem drohenden Staatsbankrott ist die Krise für weite Teile der griechischen Bevölkerung nicht vorbei. Damals setzte die Regierung auf Druck der internationalen Geldgeber ein rigoroses Sparpaket in Kraft, das bis heute insbesondere die Bürger trifft.

Das Leben in Griechenland wird immer teurer, die Einkommen aber stagnieren. Dagegen regt sich zunehmend Protest.

Abgehängt, ausgepowert, verärgert: Nach wie vor liegen die Löhne unter dem Vorkrisenniveau von 2009 und mit einem Durchschnittsbrutto von rund 1350 Euro im Monat ohnehin auf sehr niedrigem Niveau. Gleichzeitig sind die Lebenshaltungskosten deutlich gestiegen, die Preise im Supermarkt sind mit denen in Deutschland vergleichbar, manches ist gar teurer. Mieten haben in den letzten fünf Jahren laut dem Maklerportal Spitogatos um 35 Prozent angezogen.

Die Folge: Fast zwei Dritteln aller griechischen Haushalte geht vor dem Monatsende das Geld aus, viele können sich keine Gesundheitsvorsorge leisten, gemessen am EU-Durchschnitt kommt die griechische Familie gerade mal auf 70 Prozent Kaufkraft, so die Statistiker von Eurostat. Die Regierung hat das Problem erkannt und steuert gegen: Unter bestimmten Voraussetzungen gibt es ab November Mietzuschüsse für Geringverdiener, der Mindestlohn wurde mehrfach und zuletzt zum 1. April 2025 angehoben, bis Sommer 2027 soll der Durchschnittsverdienst auf 1500 Euro monatlich steigen, hat Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis angekündigt.

Doch so lange wollen viele Menschen nicht warten, sie fühlen sich zu Unrecht vom Aufschwung abgehängt. Denn obwohl die Griechen so wenig verdienen, arbeiten sie im EU-Durchschnitt mit am meisten, verglichen mit den Deutschen fast 1700 statt 1300 Stunden im Jahr (Stand 2023, inkl. Teilzeit). Seit Sommer 2024 ist per Gesetz auch die 6-Tage-Arbeitswoche wieder erlaubt. Hingegen kommen Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz oft zu kurz, kritisieren Gewerkschaften und Oppositionsparteien.

Immer häufiger tun die Bürger ihren Unmut öffentlich kund, dem Streikaufruf zweier Gewerkschaften am 9. April folgten Zehntausende. Öffentliche Verkehrsmittel standen still, Fährschiffe blieben im Hafen, Flugzeuge am Boden. Die Menschen demonstrieren vor allem für höhere Einkommen und bezahlbaren Wohnraum, wenige Wochen zuvor waren anlässlich des 2. Jahrestags der Zugkatastrophe von Tembi über eine Million Menschen im ganzen Land auf die Straße gegangen. Auch dieser Protest richtete sich gegen wirtschaftliche und soziale Missstände, insbesondere im Zusammenhang mit dem Zugunglück mit 57 Toten. Der 1. Mai ist traditionell Protesttag.

Wer sich auf das unverfälschte Griechenland einlässt, wird mit großer Wärme, Herzlichkeit und Freundschaft empfangen

Mal ehrlich: Welcher Urlauber setzt sich mit diesen Dingen auseinander? Wer denkt an die Sorgen der Menschen, wenn Badefreuden, Sonne satt und frischer Fisch (der für Deutsche abseits der Touristen-Hotspots auch noch günstig ist!) Jahr für Jahr Besucher in noch größerer Zahl locken? Bereits die Flugpassagier-Zahlen zu Jahresbeginn lassen darauf schließen, dass 2025 das nächste Rekord-Urlaubsjahr für Hellas wird.

Ist das hier also ein Plädoyer gegen Urlaub in Griechenland? Keineswegs! Mir geht es nur darum, wie man diesen Urlaub verbringt. Allein durch die Art und Weise, wo und wie wir das Land bereisen, können wir mithelfen, dass sich auch etwas für die Menschen vor Ort verbessert. Nicht beim 24-Stunden-Insel-Hopping auf dem Kreuzfahrt-Tanker. Nicht beim Sehenswürdigkeiten-Sammeln auf der In-7-Tagen-sehe-ich-ganz-Griechenland-Tour. Nicht im All-inklusive-Hotel-Bunker mit Privatstrand. Sondern auf der Wanderung oder Fahrradtour durch Dörfer, Olivenhaine, unberührte Natur. Bei der Olivenölprobe in der örtlichen Oliven-Presse. Beim Kosten heimischer Speisen und Weine in der familiengeführten Taverne. Oder gar beim Erlenen griechischer Gerichte oder Tänze.

Was Griechenland ausmacht, sind vor allem seine Menschen mit ihren Sitten und Gebräuchen, die sie bis heute leben, pflegen – und mit uns teilen. Immer mehr – auch junge -, Griechen starten Projekte und Initiativen, um Kultur und Traditionen aufrechtzuerhalten und erlebbar zu machen. Wer sich auf dieses unverfälschte Griechenland einlässt, erlebt Gastfreundschaft, wie ich sie noch in keinem anderen Land erlebt habe. Unabhängig davon, wie es den Griechen finanziell geht, bin ich von ihnen immer nur mit großer Wärme, Herzlichkeit und Freundschaft empfangen worden. Lasst uns etwas davon zurückgeben. Pame! (Gehen wir!)

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